Wohngeschichten mit Handicap #1: Ines Giebe, 56 Jahre, Dresden
Ines Giebe ist 56 Jahre alt und seit der Geburt spastisch gelähmt. Auf Grund ihrer Behinderung ist die lebenslustige Frau auf eine 24 Stundenbetreuung angewiesen. Trotzdem hat sie sich auf das Abenteuer eigenständiges Wohnen eingelassen und es nicht bereut.
Seit Jahresbeginn betreut die Häusliche Pflege und Betreuung Friedrich GmbH Ines Giebe, nachdem ihr sehr überraschend der bisherige Pflegedienst die Zusammenarbeit aufkündigte. In sensationell kurzer Zeit formierte die Firma Friedrich ein komplettes Assistenzteam, dass sich nun rund um die Uhr um Ines Giebe kümmert.
mvg: Warum ist Ihnen Ihrer eigene Wohnung wichtig?
IG: Ich habe bis zu meinem 42 Lebensjahr bei meinen Eltern gelebt, wurde von ihnen fürsorglich umsorgt und gepflegt, hatte meine eigenen Wohnraum. Mein Leben spielte sich also in der Familie ab. Ich war für meine Eltern räumlich immer erreichbar, wir hatten einen abgestimmten Tagesablauf. Ich wollte aber endlich einmal ganz allein über meinen Tagesablauf bestimmen können, ein selbstbestimmtes Leben in einer eigenen Wohnung führen. Das wurde 2007 möglich, als ich eine behinderten- und rollstuhlgerechte Wohnung fand und sie mir nach meinen Vorstellungen einrichten konnte.
mvg: Was macht für Sie die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung aus?
IG: Durch dieses, zum großen Teil von meinen Eltern jetzt unabhängigen, selbstbestimmten Leben wurde ich selbstbewusster, musste mir über die Gestaltung meines Tagesablaufes und meines Lebens mehr Gedanken machen und dafür natürlich auch die Verantwortung übernehmen.
mvg: Was genießen sie in Ihren eigenen vier Wänden besonders?
IG: Ich bin ein sehr lebensfreudiger Mensch mit großer Liebe für Blumen, Pflanzen und Freude an bunten Farben. So habe ich mir auch meine Wohnung selbst gestaltet und eingerichtet: farbenfreudige Wände, viele Blumen und Grünpflanzen in der Wohnung und auf dem Balkon.
mvg: Sie sind auf Grund Ihrer Behinderung trotzdem ganz schön abhängig von anderen Menschen. Wie schaffen Sie es, sich eine Privatsphäre zu kreieren?
IG: Ich habe den Pflegegrad 5 und bin täglich über 24 Stunden pflegebedürftig. IG: Für fast alle körperlichen Verrichtungen brauche ich Unterstützung durch Dritte, ebenso bei den nicht geringen Aufgaben mit den Behörden. Für meine tägliche bzw. fast stündliche Pflege habe ich ein sehr gutes Assistentinnen-Team gefunden, welches im Schichtbetrieb ständig bei mir ist. Eine reine Privatsphäre habe ich praktisch nicht. was ich auch nicht so vermisse, da ich daran gewöhnt bin. Meine Assistentinnen teilen mit mir praktisch meine Privatsphäre.
mvg: Brauchen Sie noch weitere Hilfen?
IG: Zwar brauche ich immer noch die Unterstützung meiner Eltern, aber ich kann sie mit der Hilfe meiner Assistentinnen bei organisatorischen Aufgaben zunehmend entlasten. Vor allem aber sind für meine Eltern durch meine Pflege rund um die Uhr durch ein Assistentinnen-Team die körperlichen Belastungen weggefallen, was mich sehr beruhigt.
Ich habe also ein junges Team aus fünf Assistentinnen für meine tägliche Rund-um-die-Uhr-Betreuung und den entsprechenden organisatorischen Aufgaben. Dabei ist die liebevolle Teamleiterin Sarah ständig um ein familiäres Klima im Team bemüht. Im Hintergrund stehen mit der Pflegedienstleitung und Frau Friedrich selbst ein fürsorglicher, perfekter Pflegedienst und für die Kontakte mit den Behörden (Sozialamt etc.) immer noch meine Eltern.
mvg: Gibt es für Sie noch diese Eltern-Kind-Besuche, wo Sie zu Ihren Eltern zu Besuch fahren und dort übernachten?
IG: Zum Glück sind meine Eltern noch soweit rüstig, dass wir unsere persönlichen Kontakte bei mir oder bei ihnen durch Besuche aufrecht erhalten können. Übernachten kann ich bei meinen Eltern allerdings nicht mehr, da die zwischenzeitlich für mich erforderlichen Hlfsmittel wie Haltestangen und Pflegebett fehlen.
mvg: Haben andere Menschen, ihre Eltern, Geschwister oder Freunde, die Gelegenheit bei Ihnen in Ihrer Wohnung zu übernachten?
IG: Ansonsten habe ich noch einige Bekannte, zu denen ein lockerer Kontakt besteht, meist nur zu meinem Geburtstag durch einen Besuch. Andere Bekannte bzw. Freunde haben sich zurückgezogen, weil sie selbst familiäre Aufgaben haben, weggezogen oder beruflich gebunden sind. Eine Übernachtung bei mir ist nicht möglich, weil ich ja ständig eine Assistentin bei mir habe.
Mein Bruder, der auch in Dresden wohnt, unterstützt mich hauptsächlich, wenn ich am PC oder Tablet Probleme habe.
mvg: Was wünschen Sie sich für sich selbst im Bezug auf Ihre Eigenständigkeit und Selbstbestimmung?
IG: Mit meiner Eigenständigkeit und Selbstbestimmung bin ich relativ zufrieden. Ich habe jetzt einen sehr guten Pflegedienst, ein gutes Assistentinnen-Team und die notwendigen organisatorischen Dinge mit den Behörden haben sich eingespielt. Die Finanzierung meiner Pflege bzw. Assistenz durch das Sozialamt Dresden läuft nun schon über einige Jahre über ein sogen. Trägerübergreifendes Persönliches Budget zusammen mit der Pflegekasse. Natürlich gibt es hier immer wieder Auseinandersetzungen, teilweise über einen Rechtsanwalt, ausreichend finanzielle Mittel bewilligt zu bekommen.
Mein größter Wunsch wäre, dass nach meinen Eltern meine weitere Betreuung über meinen Pflegedienst Friedrich erfolgen oder organisiert werden könnte.
Diesen Text hat Ines Giebe ihrem Vater Manfred Giebe diktiert, der ihn für sie Tochter aufgeschrieben hat.